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Offener Brief an Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl

Dieter Schlesak, Schriftsteller und Journalist

Tizianweg 8

70192 Stuttgart

 

Herrn

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl

Bundeskanzleramt

BONN

 

Stuttgart, 21. August 1996

 

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

vielen Dank für Ihren freundlichen Brief aus den Wahltagen hier in Baden-Württemberg, in dem Sie mir mitteilten, daß unsere Renten auf jeden Fall sicher seien; dieses ist mitnichten wahr! Ich muß Sie im Gegenteil nun fragen, wann das überholte Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland endlich abgeschafft wird, die Politiker dann freie Fahrt haben, damit auch wir zweit- und drittklassige Bundesbürger und diskriminierte Fremdrentner werden können!

Denn inzwischen mußte ich mit Bestürzung feststellen, daß viele meiner Kollegen und ehemaligen Landsleute, und ich gehöre mit zu dieser Gruppe ehemaliger Aussiedler, in der neuen Bundesrepublik ab 13. September 1996, falls Sie Ihre Kanzlermehrheit bei der Absegnung des neuen Gesetzes über die Kürzung unserer Renten um 40% in die Waagschale werfen, zu einer benachteiligten und diskriminierten Minderheit gehören werden!

Es ist ein Status, den wir Rumäniendeutschen, vor allem auch die rumäniendeutschen Autoren zur Genüge kennen, einige leben seit Jahrzehnten in der Bundesrepublik und haben sich hier Rang und Namen erschrieben, gehören in die bundesdeutsche Literaturgeschichte, sie haben mit Verfolgung und Diskriminierung in der Ceausescu-Diktatur die bittersten Erfahrungen gemacht, und dieses war auch der Grund, weshalb sie, die gejagten deutschen Autoren und viele andere deutschen Aussiedler, für ihre Arbeit und ihr Leben den freien sozialen Rechtsstaat Bundesrepublik als sicheren Boden gewählt haben!

Hätten wir unsere Arbeit für ein deutsche Kultur, die auch die fünfte deutsche genannt wird (neben der BRD, der ehemaligen DDR, Schweiz und Österreich), unter den schwierigsten Bedingungen (bei manchen sind Gefängnisjahre dazuzurechnen!) nicht durchgehalten, und zu diesen Leuten gehören Redakteure, Lehrer, Forscher, Autoren, Musiker, Maler, Wissenschaftler, Bibliothekare, Pfarrer, Verleger usw., gäbe es diese fünfte deutsche Kultur, die heute die Kultur der Bundesrepublik bereichert, nicht!

Nun sollen wir alle für dieses Durchhaltevermögen empfindlich bestraft werden?!

Doch dieses ist eher der moralische Rahmen, den ich Ihnen zur Kenntnis bringen wollte, bei einer Verfassungsklage würde er kaum Erwähnung finden.

Es geht um Dinge des Verfassungsbruches, wenn ich Sie frage:

1.Wollen Sie und Herr Blüm eigentlich zu Verfassungsfeinden werden? Oder gilt Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes nicht mehr, der Benachteiligung oder Bevorzugung von Bürgern verbietet? Und da sprechen wir nicht mehr nur für eine kleine Gruppe von Autoren, sondern für Millionen und Abermillionen von Aussiedlern. Diese Gleichbehandlung und Artikel 3, 3 könnten auch aus sachlichen Gründen einer Notlage in der Rentenkasse, die wir ja alle kennen, oder weil wir während der Beschäftigungszeiten in Rumänien keine Beiträge in die deutsche Rentenkasse gezahlt haben, nicht einfach außer Kraft gesetzt werden. Bei Gesetzestreuer Handhabung (Gleichbehandlung!) aber müßten auch die Renten der ehemaligen DDR-Bürger in gleichem Maße und aus dem selben Grund gekürzt werden, und das würden Sie und Ihre Partei politisch nicht durchhalten können. Bleibt also die ziemlich wehrlose Minderheit, die Sie außerhalb der Verfassung stellen wollen. Doch auch dieses ist, wie bekannt, ein eklatanter Verstoß gegen das Grundgesetz, denn Herkunft kann laut GG ebenso wie Rasse oder Religion kein sachlicher Grund von Gruppenbildung und schon gar nicht von Gruppen-Diskriminierung sein! Wohlgemerkt, hier geht es um Bundesbürger und nicht um Ausländer und Aylanten, mit denen Sie sowieso umspringen, wie es Ihnen beliebt, und schon eine Grundgesetzänderung in diesem Punkt hinter sich haben! Soll das nun immer so weitergehen?!

Wir werden uns, und dies nicht nur aus Gründen drohender Armut, sondern als Leute, die bei Mißbrauch von Gewalt und bei Abbau von Rechten von Berufs wegen zur Herstellung von Öffentlichkeit und zum Widerstand verpflichtet sind, gegen Ihr neues verfassungswidriges Gesetz wehren müssen! Verpflichtet sind wir auch notfalls zum äußersten Mittel, zu einer Verfassungsklage und einem Musterprozeß, dabei müßten wir uns nicht einmal an die Landsmannschaften anschließen, die dieses ebenfalls vorhaben, und Sie und Herr Minister Blüm könnten mit Ihrem faux-pas eine ziemlich große Koalition aller Betroffenen von links nach rechts gegen Sie und Ihre Politik heraufbeschwören, sondern wir sind auch im PEN und in der Mediengewerkschaft organisiert, und diese sind laut Statut dazu verpflichtet, gegen solche Gesetzesbrüche vorzugehen, und schließlich ihre Mitglieder in Prozessen, wenn es um berufliche Belange geht, zu schützen!

2. Viele von uns sind seit über dreißig Jahren Bundesbürger und haben hier in die Rentenkasse eingezahlt, seit 10 oder mehr Jahren ist eine Kontenklärung erfolgt und ein amtlicher Rentenbescheid, das Recht auf die Rente und Fremdrente in vollem Umfang bestätigt worden. Nun soll dieser amtliche Bescheid retroaktiv Lügen gestraft, für null und nichtig erklärt werden. Dieses verstößt gleich gegen mehrere Paragraphen des Grundgesetzes.

a. Nach dem aus der staatlichen Ordnung abgeleiteten Rechts-und Sozialstaatsprinzip, Art. 20, Abs. 1-3 Grundgesetz genießen wir "Vertrauensschutz", aus dem unbestreitbar auch das Rückwirkungsverbot, also retroaktive Aufhebung einmal als gültig erkannter amtlicher Bescheide gebunden ist.

. Wohin kämen wir mit diesem Staat und seiner Gesellschaft, wenn die uns einmal amtlich zugesicherten Rechte nicht mehr sicher sein sollen, diese jederzeit und gegen das Gesetz aufgekündigt werden können?! Wissen Sie, wie man diese Rechsunsicherheit, die wir zur Genüge in der Diktatur genießen durften, nennt, Herr Dr. Kohl?

b. Weiter: Laut Grundgesetz muß die soziale Schutzbedürftigkeit einer Minderheit in diesem Lande gewährleistet sein! Andernfalls hat diese das Recht, ja, die Pflicht sich zu wehren (Art. 20, Abs. 1-3).

Ich zitiere dazu die Überlegungen eines Juristen: "Die Schutzbedürftigkeit ist auch dann gegeben, wenn eine Minderheit mit Benachteiligungen zugunsten des Gemeinwohls einer Mehrheit konfrontiert wird. Die Zumutbarkeit der vierzigprozentigen Rentenkürzung scheitert am verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz. Die rückwirkende Rentenkürzung untergräbt das schutzwürdige Vertrauen der zukünftigen Aussiedlerrentner, wodurch diese ihre Lebensarbeitszeit nach Möglichkeit verkürzen werden, um eventuellen zukünftigen Benachteilgungen durch erneute Kürzungen zu entgehen. Es liegt auf der Hand, daß ein ungerechtfertigter Sparzwang bei einer Minderheit (Mißachtung des Art. 3, GG) zwangsläufig zur Mißachtung des Vertrauenschutzes (abgeleitet aus Art. 20, GG) führt. Aber auch der umgekehrte kausale Zusammenhang, wo die Wirkung zur Ursache wird, ist Realität, denn wer, im Vertrauen auf sein Recht, länger über den Stichtag der Kürzung hinaus, arbeitet und der Rentenkasse somit Beiträge zufließen läßt, wird bestraft: er erhält weniger Rente!

Der augenblickliche Spareffekt ist zwar erreicht, aber das Vertrauen zukünftiger potentieller Opfer ist für immer verspielt, und die beabsichtigte langzeitige Effektivität des Sparens ein Flop. Ein Teufelskreis der juristischen Irrwege unseres Herrn Bundesarbeitsministers offenbart sich hier in seiner ungeahnten Perfektion!"

Dieter Schlesak

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