Zukunft braucht Herkunft.

Beim sechsten Reußener Heimattreffen notiert / Von Hannelore Baier

Quelle: Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien ( ADZ) vom 8. August 2006



Begrüßung mit dem "Siebenbürger Echo" im Pfarrhof am 05.08.2006:
Dieter Lauer (Akkordeon/Keyboard), Frieder Lauer (Schlagzeug),
Andreas Hihn (Posaume) und Johann Lauer junior (Trompete/Akkordeon).

Hermannstadt – Das Dorf ist ca. 20 Kilometer von Hermannstadt/Sibiu entfernt. Man fährt durch, auf dem Weg nach Mediasch. Ehe man ins Dorf gelangt, ist von der Anhöhe her der schiefe Kirchturm zu sehen. Er ist geneigter als jener von Pisa, wenn man die Neigung im Verhältnis zur Höhe setzt. Der Turm wurde 1749 erbaut und neigte sich 1858 infolge eines Erdrutsches. Das erfahren wir von der Webseite des Dorfes, das Johann Lauer jun. seit 1995 erstellt. Deren Motto „Zukunft braucht Herkunft“ haben wir für den Titel des Berichtes geliehen.

Recht klein ist auch die Kirche. Es ist ein neuerer, etwas über 200 Jahre alter Bau. Die früheren Kirchen seien abgebrannt, von der einstigen Wehrmauer ist nur der Turm übrig geblieben, erzählt Lorenz Baußmerth. 33 Jahre lang hat er die Orgel jeden Sonntag im Gottesdienst gespielt, 1991 ist er mit der Familie nach Deutschland gegangen. Am vergangenen Samstag saß Lorenz Baußmerth erneut an der Orgel in seinem Heimatdorf. Aus Anlass des sechsten Heimattreffens.

Als Ortfremder erstaunt man beim Betreten der Kirche über die große Fahne der einstigen Bruderschaft, die von der Empore herabhängt. Das darauf gestickte Wappen ist jenem von Hermannstadt sehr ähnlich. Es fehlt allerdings eines der sich kreuzenden Schwerter. Das Wappen des einstigen königlichen Dorfes Reußen, dessen rumänischer Name "Rusi" auch negative Assoziationen weckt, erinnert an gute Zeiten.

Die sächsisch-evangelische Gemeinschaft war nie groß, vor dem Zweiten Weltkrieg hatte sie um die 600 Mitglieder, heute zählt sie 11. Dazugehörig aber fühlen sich auch rund 50 Reußener mit Wohnsitz in Deutschland, die mehr sind als „Sommersachsen“. Sie kommen 4 – 5 mal im Jahr ins Dorf, haben die Kirche instand gesetzt, den Friedhof eingefriedet und das einst baufällige Pfarrhaus in eine Begegnungsstätte verwandelt. „Wir haben unsere Häuser noch, aber unsere Stuben sind zu klein, als dass wir uns alle dort Platz haben, wenn wir zu Besuch sind“, sagt Lorenz Baußmerth. In freiwilligem Arbeitseinsatz, wie man das von früher her gewohnt war, wurde Wasser- und Kanalisation, Gas und Elektrizität eingeführt, die Küche mit Boiler und neuen Möbeln ausgestattet, die Zimmer verputzt und gestrichen und das ganze Haus ebenso. Im Jahr 2000 haben sie damit begonnen, so oft als ihnen möglich, setzen sie Stein auf Stein, wie Andreas Hihn uns mitteilt. All das geschieht in Zusammenarbeit mit Kuratorin Katharina Banciu, die dafür sehr dankbar ist.


Gruppenbild vor dem schiefen Turm

Rund 200 Reußener kommen jedes Jahr einmal zumindest in ihr Heimatdorf, die meisten im Sommer. Für jene, die Anfang August da sind, wird seit 2000 ein Gemeindefest veranstaltet. Am vergangenen Samstag und Sonntag fand es zum sechsten Mal statt. Gedeckt war für 80 Personen. Dazu kam auch Virgil Sorostinean, ein Reußener, zurzeit Bürgermeister der Gemeinde Stolzenburg, zu der Reußen verwaltungsmäßig gehört. Im Pfarrhaus kommt man aber auch zu Weihnachten oder Silvester zusammen.

Heimattreffen beginnen traditionsgemäß mit einem Gottesdienst. Dazu wurden die Reußener vom „Siebenbürger Echo“ mit wohlklingender Blasmusik zusammengerufen. Die vier Musiker Johann Lauer jun. (Trompete), Dieter Lauer (Akkordeon), Frieder Lauer (Schlagzeug) und Andreas Hihn (Posaune) sorgten desgleichen am Friedhof für besinnliche Momente und danach im Gemeindehaus für Unterhaltung. Der zweit- und der letztgenannte der Musiker waren zusammen mit Kuratorin Katharina Banciu die Organisatoren des Festes.


Einweihung des Denkmals auf dem Reußner Friedhof am 05.08.2006
Pfarrer Seidner und Pfarrer Reger (Rücken)
Georg Hihn und Johann Lauer senior

Das diesjährige Heimattreffen stand im Zeichen des Gedenkens an eine schlimme Zeit. Nach dem Abendmahlsgottesdienst, dessen Predigt Pfarrer Walther Seidner aus Stolzenburg/Slimnic gehalten hatte und Liturg der aus Reußen stammende Pfarrer aus Kerz/Carta Michael Reger war, schritt ein Regenbeschirmter Zug zum Friedhof. Voran gingen mit einem Kranz Johann Lauer sen. und Georg Hihn. Sie waren 5 Jahre lang zusammen in Lager Nummer 1416 in Dnjepropetrowsk gewesen. Auf die Initiative und finanziert von Johann Lauer  ist am Friedhof ein Gedenkstein errichtet worden auf dem die Namen der 18 in der Russlanddeportation und 32 im Zweiten Weltkrieg verstorbenen Reußener stehen. Das Mahnmal wurde am Samstag von den beiden Pfarrern geweiht.

Einhergegangen ist die Errichtung des Gedenksteines mit einer detaillierten Dokumentation über das Deportationsgeschehen, dessen Ergebnisse Johann Lauer sen. vorstellte. 93 Reußener sind im Januar 1945 ausgehoben worden, zurück blieben 17 Frauen mit 77 Kindern, die jünger waren als 14, 33 Kleinkinder blieben bei den Großeltern zurück, eines gar bei fremden Leuten. Den zur Zwangsarbeit Verschleppten ging es schlecht, jedoch stellte Johann Lauer auch die berechtigte Frage: „Wie haben die Frauen und alten Leute die Kinder durchgebracht, da man sie im März 1945 doch enteignet hatte?“

Der Gedanke, diesen Gedenkstein am Reußener Friedhof aufzustellen war Johann Lauer gekommen, als er im vergangenen Jahr in Dnjepropetrowsk feststellte, dass dort an der Stelle, wo die Gräber ihrer Toten waren, heute ein Park angelegt ist (vgl. Deportation: Eine Reise in die Vergangenheit). Nun können die Reußener ihrer in der Kriegs- und Nachkriegszeit Verstorbenen am Dorffriedhof gedenken.
 


 

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