Eine siebenbürgisch-sächsische Trauerrede.Nachruf (Abdankung) für Agnetha Lauer, geborene Hihn (1932-2025)Hintergrund: In Reußen besteht – wie in vielen siebenbürgisch-sächsischen Gemeinden – die Tradition, dass ein Redner „abdankt". Dabei handelt es sich um weit mehr als einen gewöhnlichen Nachruf. Der Redner nimmt hierbei mehrere bedeutsame Rollen ein: Erstens spricht er als Stimme der Hinterbliebenen, indem er sich bei allen bedankt, die ihnen in der schweren Zeit beigestanden haben. Zweitens spricht er als Vertreter der Trauergemeinschaft und spendet den Hinterbliebenen Trost. Drittens spricht er im Namen des Verstorbenen und bittet um Verzeihung für dessen mögliche Versäumnisse und Ungesagtes. Viertens nimmt er als Sprecher der Hinterbliebenen mit Worten des persönlichen Gedenkens, der Verbundenheit und der Würde Abschied vom Verstorbenen. Im Folgenden lesen Sie eine Abdankung (Nachruf) für Agnetha Lauer (geborene Hihn), zur Welt gekommen am 4. August 1932 in Reußen, verstorben am 23. Juli 2025 in Seeshaupt am Starnberger See. Vorgetragen wurde die Abdankung von Sonja Agnetha Kusch, geborene Lauer, am 1. August 2025 in der evangelischen Kirche von Seeshaupt. Verfasst hat die Rede Dr. Johann Lauer. 1. Dank an die TrauergemeindeLiebe Trauergemeinde, im Namen der Familien Lauer, Schloß und Winter möchte ich mich bei Ihnen und euch bedanken, dass ihr die verstorbene Agnetha Lauer, geborene Hihn, auf ihrem letzten Weg begleitet. Ein besonderer Dank geht an diejenigen, die den Familien in ihren schwersten Stunden mit Rat und Tat zur Seite standen. Ihnen, Frau Pfarrerin Anna Hertl, möchte ich für den geistigen Beistand danken. Die letzten Lebensjahre meiner Oma waren von großem Leid geprägt. Im September 2020 erlitt sie einen zweiten Schlaganfall und wurde pflegebedürftig. Karin, Stefan und Lisa haben Oma sehr liebevoll und aufopferungsvoll gepflegt. In den letzten Jahren wurden sie unterstützt von der Gemeinschaftspraxis Seeshaupt, der Tagespflege Tiefental Seeshaupt sowie von mehreren engagierten Pflegekräften, die die häusliche Betreuung zuverlässig übernahmen. Dank dieser Hilfe durfte Oma in ihrer vertrauten Umgebung friedlich einschlafen – dafür sagen wir von Herzen Danke. 2. Hinterbliebene tröstenLieber Tata, liebe Katharina, liebe Karin, wir alle fühlen mit euch den großen Schmerz, den der Verlust eurer geliebten Mutter mit sich bringt. Der Tod der Mutter ist der erste Kummer, den man ohne sie beweint. In Traueranzeigen liest man des Öfteren, dass man von Beileidsbekundungen absehen soll. Diese Einstellung teilt aber keiner von uns. Wir, die Trauergemeinde, sind alle gekommen, um unser Beileid und Mitgefühl auszudrücken. Wir tun dies im Wissen, aber vor allem in der Hoffnung, dass geteiltes Leid halbes Leid ist. Wir, die Kinder, die Enkel und Urenkel, sind tief bestürzt über das Ableben unserer geliebten Mami, Oma und Uroma. Mit eurer Anwesenheit, liebe Trauergemeinde, schenkt ihr uns Kraft und Trost, diesen Schmerz zu überwinden. 3. Worten des persönlichen GedenkensLiebe Oma, du hinterlässt eine große Familie: drei Kinder, sieben Enkel und sieben Urenkel. Es ist mir eine Ehre, deinen Namen weiterzutragen und heute die Abdankung vorzunehmen. Du hattest eine idyllische Kindheit auf einem Bauernhof in Reußen, Siebenbürgen. Deine Eltern, die freien Bauern Johann und Susanna Hihn, boten dir trotz bescheidener materieller Verhältnisse ein Zuhause voller Tiere und die Gesellschaft deiner vier Geschwister Susanna, Johann, Katharina und Michael. Besonders mit deinem jüngsten Bruder Michael hattest du lebenslang eine innige Beziehung, da euch die Liebe zur Musik verband. Nun wirst du in dasselbe Grab beerdigt, wo auch schon dein Bruder liegt. Die ersten sieben Jahre deines Lebens waren von Wärme, Geborgenheit und kindlicher Unbeschwertheit erfüllt. Doch diese heile Welt endete abrupt, als der Zweite Weltkrieg auch über euren kleinen Ort hereinbrach. Deine Kindheit und Jugend während und nach dem Krieg war eine Zeit voller schwerer Prüfungen: Dein Vater, bereits 44 Jahre alt, wurde in die rumänische Armee eingezogen. Zurück blieb deine kränkliche Mutter – allein mit fünf minderjährigen Kindern und der Verantwortung für einen bäuerlichen Hof, dessen tägliche Anforderungen ihre Kräfte oft überstiegen. Eine besonders einschneidende Erfahrung war dein Schulverweis von der deutschen Schule wegen unbezahlter evangelischer Kirchensteuer – du musstest die 6. Klasse an der rumänischen Staatsschule fortsetzen. Zwei deiner Geschwister, Susanna und Johann, wurden nach dem Krieg für fünf Jahre in die Sowjetunion deportiert. Auch wenn eure Familie keine Todesfälle zu beklagen hatte, prägten existenzielle Ängste, Hunger und die Sorge um das eigene Leben und das deiner Liebsten über ein Jahrzehnt hinweg dein Erwachsenwerden. Frau Pfarrerin Anna Hertl hat deinen Lebenslauf bereits eindrucksvoll und mit viel Einfühlungsvermögen dargestellt – daher möchte ich darauf nicht noch einmal eingehen. Mir geht es vielmehr darum, wie du all die Widrigkeiten und Herausforderungen gemeistert hast – und wie gerade diese Erfahrungen deine Persönlichkeit geformt und gestärkt haben. Nicht die Stationen deines Lebensweges, sondern deine Art, mit ihnen umzugehen, offenbarte, wer du wirklich warst. Du bist den existenziellen Schwierigkeiten mit zwei scheinbar unvereinbaren Kräften begegnet: einem unbeirrbaren Willen und einer Lebensfreude, die selbst in dunkelsten Stunden aufblühte. „Geht nicht, gibt’s nicht“ – das war dein Lebensmotto. Du lebtest stets danach, dass Frauen alles können, was Männer auch können. Schon als Kind hast du auf dem Feld geackert und Lämmer geschlachtet. Du verarbeitetest das Fell bis zur Winterkappe. Selbst mit über 80 Jahren zeigtest du beim Nähen eine Geschicklichkeit, die uns staunen ließ. Mit 54 Jahren hast du in München den Führerschein gemacht und bist wohlgemerkt ohne Navigationsgerät fast durch halb Europa alleine gefahren. Du hast bis zum Ende gekämpft. Die letzten fast fünf Jahre waren schmerzhaft, und es fiel dir unendlich schwer, auf andere angewiesen zu sein. Doch jede gemeinsame Sekunde, besonders mit Karin und Lisa, hast du bis zuletzt in vollen Zügen genossen. Eine weitere deiner prägenden Eigenschaften war deine pure Lebensfreude. Sie zeigte sich nicht in Ruhe, Urlaub brauchtest du nicht, sondern stets in Bewegung und Kreativität: beim Tanzen, Singen oder Musizieren mit der Ziehharmonika. Bemerkenswert ist, dass du dir sogar das Trompetenspiel von deinem Bruder Michael angeeignet hast – und das zu einer Zeit, in der dieses Instrument fest in Männerhand war. Der Klang der Trompete hat dich ein Leben lang fasziniert und begleitet. Dein schönster Traum war, als Musikerin zu arbeiten. Diesen konntest du dir trotz des vorhandenen musikalischen Talents nie erfüllen, weil dir der Zugang zu einer entsprechenden Bildung verwehrt war. Es lag dir am Herzen, deinen Kindern musikalische Bildung zu ermöglichen. So überzeugtest du alle drei, das Musikgymnasium zu besuchen. Unabhängig davon, welchen beruflichen Weg jeder eingeschlagen hat – deine Unterstützung war ihnen stets sicher. Leider studierte Johann nicht Musik oder Theologie – Pfarrer war für Oma der wichtigste Beruf –, sondern Philosophie und Politikwissenschaft. Katharina wurde Nachrichteningenieurin bei Siemens. Auf Karin warst du besonders stolz, da sie einen ähnlichen Berufsweg wie du einschlug: Du warst begeisterte Verkäuferin und liebtest den Umgang mit Menschen. Karin gründete eine Modeagentur. Deine ansteckende Lebensfreude hat uns alle geprägt: Wir feiern gern und machen dabei mit Vorliebe selbst Musik. Nicht nur deine Kinder, sondern auch alle deine sieben Enkelkinder, Anita, Michael, Sonja, Anna, Eva, Andreas und Lisa, haben neben der Schule ein Instrument gelernt. Auch die beiden ältesten Urenkel, Jonas und Timo, erlernen bereits ein Instrument, und die anderen fünf Urenkel – Julian, Fabian, Laura, Elmo und Loni – werden sicherlich ebenfalls musikalischen Unterricht erhalten. Auch wenn keiner von uns Profimusiker ist, den musikalischen Virus hast du uns allen übertragen, und die Freude am gemeinsamen Musizieren wird uns immer begleiten. Einige Familienmitglieder, Johann, Anita, Lisa und ich, werden dich am Grab mit zwei Liedern verabschieden: „So nimm denn meine Hände“ und „Mutterherz“. Deine geliebte Trompete fehlt nicht, hinzu kommt eine Klarinette und zwei Saxophone. Wir hoffen, dass du uns aus dem Himmel hören kannst – und diesen letzten musikalischen Gruß mit einem stillen Lächeln empfängst. Liebe Oma, du zogst es immer vor, zu Hause zu feiern, umgeben von möglichst vielen lieben Menschen, anstatt in Gaststätten zu gehen. Deshalb werden wir, wie ehemals in Reußen, das Tränenbrot genau dort feiern, wo du die letzten Jahre deines Lebens verbracht hast. Liebe Trauergemeinschaft, wir laden herzlich zur gemeinsamen Trauerfeier in das Haus von Karin und Stefan ein. Weitere Informationen zur Wegbeschreibung findet ihr auf der Rückseite des Handzettels. 4. Verabschiedung der VerstorbenenLiebe Trauergemeinde, in Siebenbürgen war es Tradition, dass ein Redner der Familie allen dankte, die ihr in den schwersten Stunden des Trauerfalls beigestanden haben. Zudem übermittelte er den Trost der Trauergemeinde an die Familie der Verstorbenen und richtete persönliche Worte an den Verstorbenen. Zum Abschluss meiner Rede möchte ich nun eine würdevolle Verabschiedung vornehmen. Liebe Agnetha, verzeih uns, wenn wir dich beleidigt haben. Du hattest Zeit deines Lebens eine freundliche und positive Lebenseinstellung. Du warst stets herzlich und außergewöhnlich hilfsbereit. Die Familie stand für dich an erster Stelle und war der Mittelpunkt deines Lebens. Manche Menschen begleiten uns nur kurz, andere prägen uns für immer und hinterlassen tiefe Spuren in unseren Herzen. Du hast in den Herzen und Erinnerungen deiner Kinder, Enkel und Urenkel unzählige Spuren der Liebe hinterlassen. Liebe Mami, Oma und Uroma, wir danken dir für alles, was du für uns getan hast. Deine Liebe und Fürsorge bleiben unvergessen. Trost werden wir in unseren Erinnerungen an gemeinsame Begebenheiten, Erlebnisse und Geschichten suchen. Wir werden deine Freundlichkeit, Wärme und Zuneigung in unseren Herzen tragen. Dort wirst du für immer weiterleben, auch wenn du uns vorausgegangen bist. Liebe Trauergemeinde, kein Mensch ist fehlerlos, daher bitte ich alle, der Verstorbenen Agnetha Lauer, geborene Hihn zu verzeihen, sofern sie jemandem zu nahegetreten ist. Liebe Agnetha, zum Abschied möchte ich dir im Namen der gesamten Trauergemeinde unseren letzten Wunsch überbringen: Ruhe in Frieden. Wir werden dir ein ehrendes Andenken bewahren. |
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