Logo Robert Linz

Siebenbürger Sachsen

Onlineforum Fremdrente Soziale Sicherheit

Zurück Onlineforum Fremdrente I

Aktion gegen die Zusatzreduzierungen bei der Fremdrente

Fremdrente und Gerechtigkeit

Offener Brief an die Abgeordneten des Bundestages

Christliche Nächstenliebe und Gemeinsinn (CDU/CSU), Gerechtigkeit und Solidarität (SPD), Verantwortungsdemokratie (FDP), Menschenrechte (Die Grünen) sind Werte, die Parteien aufgrund der hervorgehobenen Rolle, die Ihnen das Grundgesetz im Gegensatz zu allen anderen Interessengruppen zuspricht, verfolgen bzw. jetzt im Wahlkampf zumindest rhetorisch wiederbeleben. So sollte es sein.

Die Realität sieht anders aus: In der Berliner Republik haben sich die Parteien zu Dachverbänden von verschiedenen Interessengruppen entwickelt. Im Laufe dieses Prozesses ist die Gemeinwohlorientierung verloren gegangen. Auf der Strecke geblieben sind erstmals Minderheiten, die von keinem "Dachverband" zur Mehrheitsbeschaffung gebraucht werden. Die entscheidenden politischen Parteien (CDU/CSU, SPD und FDP) und deren Politiker werden zwar von ca. zwei Drittel der wahlberechtigten Bürger gewählt, sie sind aber Repräsentanten aller Bürger, aber auch aller zukünftigen Generationen. Es verbietet sich daher, wie dies in den 90er Jahren geschehen ist, daß die oben genannten Parteien Änderungen am Generationenvertrag nur an den Interessen Ihrer wahlberechtigten Klientel orientieren.

Wendigkeit in den Köpfen und Standfestigkeit im Rückgrat, Kennzeichen der Bonner Republik, wurden durch Stillstand in den Köpfen und Beweglichkeit im Rückgrat, Kennzeichen der Berliner Republik, ersetzt. So sind die "Jahrhundertwerke" in der Rentenversicherung einerseits durch ein "Weiter so" gekennzeichnet. Andererseits wird eine schwache Gruppe, die sich nicht wehren kann und sowieso schon Nettobeiträge leistet, durch Zusatzreduzierungen belastet. Aussiedler mußten dies schmerzhaft erfahren, da sie nicht nur wie alle anderen Bundesbürger von Rentenkürzungen (Rentenreformgesetz von 1992 und das Wachstums- und Förderungsgesetz von 1996) betroffen sind, sondern auch als einzige Gruppe seit 1992 eine Zusatzreduzierung von 30% und seit 1996 von 40% in Kauf nehmen müssen.

Der Verlust der moralischen Dimension des Politischen trifft nicht nur Minderheiten. Eine kurzsichtige Orientierung an den Interessen der wahlberechtigten zwei Drittel der Bürger zerstört auf Dauer die Fundamente dieser Gesellschaft und läuft langfristig auch gegen die derzeitig Begünstigten. Moral, Recht und Politik bilden keine unabhängigen Subsysteme, die jeweils einem eigenen Code gehorchen und nicht aufeinander wirken (Niklas Luhmann), sondern sind verschiedene Dimensionen ein und derselben Sache.

Die Aussiedler sind in der Rentenversicherung nicht auf Solidarität oder christliche Nächstenliebe angewiesen, sondern sie leisten selber einen Solidaritätsbeitrag.

"Hätten wir keine Aussiedler in Deutschland, fiele der Beitragssatz zur Rentenversicherung um 0,3 Prozentpunkte höher aus", so MdB Walter Hirche (FDP). Der CDU-Sozialexperte Volker Kauder MdB warnte im Mannheimer Morgen vom 15.4.1997 diejenigen, die sogar für eine Herausnahme der Aussiedler aus der Rentenversicherung plädieren: "Wenn diese Leute eine eigene Kasse aufmachen würden, läge der Beitrag bei nur zwölf Prozent". Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln behauptet in einem Gutachten, daß die Aussiedler-Integration "eine gravierende, weit ins nächste Jahrhundert reichende Entlastung der Kranken- und insbesondere der Rentenversicherung" bewirke.

Die Tatsache, daß die einen für ihre Rentenanwartschaften Beiträge in die deutsche Rentenversicherung gezahlt haben und die anderen zum Teil nicht, ist aufgrund des Charakters der Rentenversicherung (Generationenvertrag, Umlageverfahren) ein unbedeutender Unterschied. Die Forderung, die Fremdrente aus Steuer- statt aus Beitragsgeldern zu finanzieren, ist gerechtfertigt. Schließlich werden auch die Renten der Bergleute zu über 60 % aus Steuergeldern finanziert, Tendenz steigend. Die Zusatzreduzierungen für Aussiedler können weder mit wirtschaftlichen, politischen noch moralischen Gründen legitimiert werden.

Nicht nur die Aussiedler (diese ganz besonders aufgrund der vielen kinderreichen Familien) werden bei den sozialen Sicherungssystemen benachteiligt, sondern alle Familien in der Bundesrepublik, die mehr als ein Kind haben. Weil etwa die Altersvorsorge nahezu vollständig sozialisiert die Kindererziehungslast dagegen weiterhin überwiegend privat bleibt. "Der Unterhalt der alten Generation ist zu fast 100% kollektiviert, derjenige der nachwachsenden Generation dagegen nur zu ca. 25%" (F.X. Kaufmann: Herausforderungen des Sozialstaates. 1997, S. 78). Aber auch bei der Krankenversicherung und erst recht bei der Pflegeversicherung fließen Gelder von Mehrkinderfamilien zu kinderlosen und kinderarmen Familien. "Die Fachwelt spricht hier auch von ´inverser Solidarität´: Die Schwachen tragen die Starken" (Jürgen Borchert: Schlag gegen die Familie. In: Die Zeit vom 17.12.1993, S. 21). Allein "der monetäre Aufwand einer Zwei-Kinder-Familie für die Erziehung ihrer Kinder (bis 18 Jahre) (wird) auf gut 300.000 DM geschätzt." "Die unentgeltliche Investitionen der Familie sind also nahezu doppelt so hoch wie die gesamten Wirtschaftsinvestitionen" (Kaufmann a.O. S. 105 ff). Diese Ergebnisse waren Anfang der 90er Jahre auch für die Fachwelt verblüffend. Das Bundesverfassungsgericht stellte in seinem "Familienurteil" vom 7.7.1992 (BVerfGE 87, 1 ff.) dazu fest, daß die Benachteiligung der Familie im sozialen Sicherungssystem nicht länger hinnehmbar sei. Sie ist mit dem Gleichbehandlungsgebot (Art. 3, I) des Grundgesetzes und dem staatlichen Schutzauftrag gegenüber der Familie (Art. 6, I) unvereinbar.

Die Aussiedler leisten erstens einen Solidarbeitrag. Zweitens gehören sie zu den wirtschaftlich benachteiligten Gruppen dieser Gesellschaft. Der Sinn öffentlicher Sozialversicherungssysteme liegt gerade darin, daß auch Bedarfsgesichtspunkte eine Rolle spielen. Das Prinzip der Beitragsäquivalenz gilt nur bei einer privaten Versicherung. Aussiedler müßten daher Empfänger von Solidarität sein. Das Gegenteil ist der Fall: Es findet eine "inverse Solidarität" statt. Der Gipfel besteht darin, daß Politiker trotz besserem Wissen Aussiedler als Sündenböcke für die systembedingten Fehlentwicklungen in der Rentenversicherung beschuldigen. Dies ist primitive Demagogie. Auch wenn die Aussiedler überhaupt keine Fremdrente mehr erhalten sollten, so wären damit die Schwierigkeiten der Rentenversicherung nicht überwunden. "Die Diskussion um `versicherungsfremde Leistungen´ ist somit nur ein scheinrationaler Nebenkriegsschauplatz" (Kaufmann a.O. S. 17). Es fehlen Visionen und Konzepte, mit deren Hilfe man in zwanzig bis dreißig Jahren den Sozialstaat sichern kann. Anstatt Konzepte zu entwickeln, die für alle Beteiligten einen Mehrwert bringen, inszenieren viele Politiker nur Nullsummenspiele, Westdeutsche gegen Ostdeutsche und Aussiedler, Familien mit Kindern gegen Kinderlose, Jung gegen Alt, Arbeitnehmer gegen Beamte und Selbständige. Aufgrund dieser von allen Experten anerkannten Leistungen der Aussiedler bitten wir Sie, einer weiteren Diffamierung der Fremdrente als ungerechtfertigte Leistung entgegenzutreten.

"In der Demokratie des Grundgesetzes herrscht nicht die Mehrheit über die Minderheit, vielmehr übt die Mehrheit Ihre Befugnisse in Respekt vor den Rechten des Einzelnen aus" (Prof. Dr. Paul Kirchhof, Richter am Bundesverfassungsgericht und Professor für Öffentliches Recht in Heidelberg, FAZ vom 18.9.1987, Seite 11). Solche Ansprüche hatten, zumindest auf dem Papier, auch die Kommunisten. Sowohl in den Ostblockstaaten als auch in der Berliner Republik (vor allem in der Rentenversicherung) haben wir als Mitglied der deutschen Minderheit bzw. als Aussiedler das Gegenteil erfahren: nämlich Deklassierung und Enteignung.

Nicht wirtschaftliche Motive waren für die Aussiedlung ausschlaggebend, obwohl die Mehrheit in der Bundesrepublik außer Wirtschaftsmotiven kaum andere Handlungsmotive bei Menschen erkennen können, nach dem Motto: Wirtschaft ist die Basis, alles andere ein unbedeutender Überbau. Sicherlich spielten auch wirtschaftliche Überlegungen bei dem einen oder anderen Aussiedler eine Rolle. Die Deklassierung im Laufe eines Jahrhunderts zu Bürgern zweiter Klasse war jedoch das Hauptmotiv für alle Deutsche aus Osteuropa, in die Bundesrepublik zu übersiedeln. Alle versprachen sich hier Gerechtigkeit, d.h. Bürger mit gleichen Rechten und Pflichten zu sein.

Es ist daher geradezu grotesk, daß nicht das Grundgesetz die deutschen Aussiedler aus Polen vor einer Ungleichbehandlung und Diskriminierung schützt, sondern ein Abkommen mit einer kommunistischen Diktatur. Die Renten der Aussiedler aus Polen sind aufgrund eines Sozialabkommens aus den 70er Jahren mit dem kommunistischen Polen nicht von der Zusatzreduzierung betroffen. Nicht nur Art. 3 Grundgesetz schreibt eine Gleichbehandlung vor, sondern auch Art. 33, der allen Deutschen im Sinne des Art. 116 gleiche Rechte und Pflichten auferlegt.

"Die dritte Gewalt gibt dem einzelnen gegenüber Verwaltung, Regierung und Gesetzgebung beim Kampf um das Recht Waffengleichheit und befähigt ihn, seine verfassungsrechtlich verbürgten Individualrechte gegenüber jeder anderen Staatsautorität, selbst gegenüber dem einhelligen Willen aller Staatsbürger durchzusetzen" (Kirchhof a. O.). Kirchhof bringt nicht nur seine Auffassungen zum Ausdruck, sondern die in der Bundesrepublik seit Jahrzehnten herrschende Meinung.

Als Minderheit sind Aussiedler in diesem Fall nicht auf die Solidarität, hingegen sehr wohl auf den Gerechtigkeitssinn ihrer Mitbürger angewiesen. Die Zusatzreduzierung bildet eine gesetzlich verordnete Deklassierung, Enteignung und Plünderung einer wehrlosen Minderheit.

Wir Aussiedler hoffen, daß wir erstens nicht nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit Bärbel Boley feststellen müssen: "Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat". Zweitens würden wir begrüßen, wenn auch Sie sich als hervorgehobener Repräsentant Ihrer Partei dafür einsetzen, daß die Parteien Ihrer Gemeinwohlverpflichtung wieder gerecht werden und die Ungleichbehandlung der Aussiedler speziell in der Rentenversicherung nicht weiter vorantreiben, sondern diese rückgängig machen. Denn im Umgang mit Minderheiten zeigt sich, welche Bedeutung man seinen eigenen moralischen Ansprüchen zumißt.

Solange die Politik auf Sündenböcke zurückgreift und durch unberechtigte Kürzung von Ansprüchen notwendige Entscheidungen verschieben kann, sind in der Rentenversicherung keine entscheidenden Änderungen zu erwarten. Tragen auch Sie dazu bei, daß der Stillstand in den Köpfen und die Beweglichkeit im Rückgrat durch Wendigkeit in den Köpfen und Standfestigkeit im Rückgrat ersetzt werden.

Zurück Onlineforum Fremdrente I


Logo Robert Linz

Onlineforum Fremdrente
Siebenbürger Sachsen
Soziale Sicherheit

Zum Seitenanfang

© Copyright by Johann Lauer, .