Neue Lyrik von Dieter Schlesak: LandsehnDieter SchlesakDIETER SCHLESAK wurde 1934 in Schäßburg (Siebenbürgen) geboren, studierte Germanistik, war vorübergehend Lehrer und dann Redakteur bei der Zeitschrift "Neue Literatur" in Bukarest. 1969 übersiedelte er in die Bundesrepublik. Er lebt seit l973 in Stuttgart und in Camaiore/Lucca. Adresse: Tizianweg 8, 70192 Stuttgart. Schlesak beschäftigt sich mit Meditation und Psychiatrie (1975 erschien sein Buch "Sozialisation der Ausgeschlossenen" bei Rowohlt). Er schreibt Lyrik ("Grenzstreifen", Bukarest l968; "Briefe über die Grenze", Schlender, Göttingen l978; "Weiße Gegend", Rowohlt, Reinbek l981; "Aufbäumen. Gedichte und ein Essay", Rowohlt, Reinbek 1990); Essays und Prosa ("Visa, Ost West Lektionen, S. Fischer, Frankfurt l97o; "Geschäfte mit Odysseus" Hallwag, Bern l972; Essays über Literatur, Grenzphänomene und Religion in verschiedenen Zeitschriften und für den Funk. Er schrieb Hörspiele und andere Arbeiten für das Radio (vor allem über psychiatrische Kliniken, Patientenkunst, über Meditation und über seine Reisen zu Indianern und Indios in den USA und Mexiko und ihre Riten und Kultformen). Übersetzer- und Herausgebertätigkeit. l986 erschien sein Roman "Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens", Benziger, Zürich, ein Buch über das lebensgeschichtliche und existentielle Exil eines Deutschen, eines Nachgeborenen. Der Roman verknüpft die Endstation deutscher Geschichte mit dem Atomzeitalter, mit der Schuld der weißen Rasse, ihrer Kultur und Zivilisation in Ost und West, und beschreibt das Leiden eines Ich an dieser Todeswelt. Vor den Vätern sterben die Söhne. Für dieses Buch und seine Fortsetzung, an der der Autor zur Zeit arbeitet (Arbeits- Titel "Der Verweser" ), erhielt der Autor zweimal das Jahresstipendium des Deutschen Literaturfonds (l982 und l987), das Stipendium des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst von Baden-Württemberg l988 und den Schubart- Literaturpreis l989. (Auch die bisherigen Arbeiten wurden mit Förderpreisen und Stipendien ausgezeichnet. Für seine Lyrik erhielt er den Nikolaus-Lenau-Preis 1993.) Schlesak ist Mitglied des Deutschen P.E.N Zentrums, des P.E.N Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland (London) und anderer Schriftstellervereinigungen. Ein großes dreibändiges Werk über das "Neue Licht Michelangelos" ist abgeschlossen, eine Kunstdruckdokumentation der renovierten Sixtinischen Kapelle in allen Weltsprachen. Dieter Schlesak schreibt dazu die Bildmeditationen, eine Brücke zwischen Bild und Wort, der Sixtina und uns. Der letzte Band (III) ist im Februar 91 erschienen. Die Fortsetzung seines Buches "Visa. Ost West Lektionen"; Essays und Prosa über die Zeit-Wende und über die Öffnung durch die osteuropäischen Revolutionen : "Wenn die Dinge aus dem Namen fallen", ist bei Rowohlt im Herbst 91 erschienen. Für dieses Projekt erhielt der Autor ein Förderstipendium der Akademie Schloß Solitude. Im Herbst 1994 erschien "Stehendes Ich in laufender Zeit" - ein synoptisches Journal der Jahre 89-94 bei Reclam Leipzig. Mit "So nah so fremd. Heimatlegenden", AKG-Verlag Dinklage, Dezember 1995, wurde diese Trilogie über die turbulenten Jahre 89-94 abgeschlossen.
Jürgen Serke in: Das neü Exil. Die Verbannten Dichter, 1985; Werner Söllner in KGL 32. Nlg., 1989. Bruno Jahn in: Literaturlexikon, Autoren u. Werke deutscher Sprache (Hg. Walter Killy), Band 10, 1991; Lexikon deutschsprachiger Schriftsteller, 20. Jahrhundert (Hg. Kurt Böttcher), 1993; Alexander von Bormann in: Geschichte der deutschen Literatur von 1945 bis zur Gegenwart (Hg. W. Barner), München 1994; PEN Bundesrepublik Deutschland: Autorenlexikon, 1993, 1996. Lexikon der Siebenbürger Sachsen: Hg. Prof. Dr. Walter Myss, Thaur bei Innsbruck 1993.
Hier ist, um mit Musil zu reden, nicht nur eine neue Seele
da,sondern auch der dazugehörige Stil. Das vitale Sprach- und
Erfahrungsmaterial ist in großräumige Rhythmen übersetzt, die in der Ferne
die Zentnerschwere einer lyrischen Tradition von Gryphius bis Günter und
Klopstock ahnen lassen, bei denen die Form gerade noch die alles sprengende
Erfahrung fasst... Man möchte auf die formale und sprachliche Kunstleistung
hinweisen, auf die Vielfalt der Themen - und könnte doch nur sagen: Ecce Poeta.
Viele dieser Gedichte lassen den Leser nicht los, sie greifen seine Erfahrung,
sein Bewußtsein an. Dieter Schlesak legt Gedichte vor, die überwältigen. Sie
stellen den Leser; sie beschwichtigen nie. Hier ist das genaue Befragen der Wörter, der Worte, wie es
Rilke etwa oder Celan exemplarisch vorgeübt haben, an die Schwelle zur extremen
Verrätselung geführt. Sie ist der Gegenwert dafür, daß Schlesak die
tradierte Erfahrung ausweitet und erst keimende Erfahrung ins Wort nimmt, statt
Erwartetes im Nennen steril zu wiederholen. Da versucht einer, einen neuen Lebenszusammenhang
herzustellen und mit diesem Versuch der Literatur wieder den Rang
zurückzugewinnen, den sie bis James Joyce und auch noch im Scheitern Robert
Musils gehabt hat: ihrer Zeit voraus zu sein. Mit dem intuitiven Blick des
Lyrikers ließ sich fassen, was bisher unfassbar erschien. Dieter Schlesak ist ein sinnierender, ein brütender Geist,
der fortwährend über das Geheimnis unserer Existenz, über den, wie er sagt,
"Abgrund dieser Gegenwart" sich beugt. In dieser Hinsicht ist er dem
1979 verstorbenen Ernst Meister verwandt. Das Erstaunliche dabei ist, die Kritik
hat schon darauf hingewiesen, wie weit Dieter Schlesak thematisch und formal
zurückgeht: Bis zur Barockzeit mit ihren metaphysischen Spekulationen. Diese
Tradition kam dem Lyriker unserer Tage entgegen. Indien ist nicht weit; Ihr geistiger Weg mußte zu einer Form
der Mystik führen. Dennoch ist die äußere Welt auch da - von Siebenbürgen
bis nach Mexiko; wobei immer im Hintergrund die Suche nach einer andern Wahrheit
steht, einer tiefen Wahrheit, die der Geschichte entkommt oder sie
überschreitet. Das ist ein dichter Dichter-Band! Das hat Substanz, das hat
Karat, und einiges zähle ich zum Besten überhaupt in dieser Zeit. Jedenfalls
ist das endlich mal etwas auf den Tisch, das man nicht ,,liest" sondern l i
e s t , wo man nach dem Durchlesen das Gefühl hat, jetzt beginnt das Lesen. Vertiefung der Sprache zu An-Deutungen; Bilder als Spiegel
innerer Vorgänge von Schau und Abwehr, von Versenkungen, ja, geistigen
Andachten und Grenzahnungen, wo sich das Wort versagt. Die deutsche Sprache ist
Schlesak Notbehelf im Geistigen. Seine Mystik, gespeist aus einem unmittelbaren
Bezug zu uralt trächtigem Kulturboden -der Autor lebt zumeist in Italien -
wendet sich in Auffächerungen unserer Identität zu. Seit Goethes und Jean Pauls Zeiten gehört Schlesak zu den
beeindruckendsten Traumerzählern. D. Schlesak VATERLANDSTAGE UND DIE KUNST DES VERSCHWINDENS.
Ein sehr philosophischer und gleichzeitig sehr lyrischer Roman, worin die
sprachliche Form dem Thema untergeordnet ist, mal schroff, und knapp, dann
wieder ,,spielerisch" und lyrisch. Im großen und ganzen ein glänzendes
Buch. Dieter Schlesak, vigoroso e sottile narratore... sembrava
riconoscersi nell´ indicativo presente. La vita, come diceva Svevo, originale e
lascia presto indietro il suo ritratto stesso da una penna (...) Nel suo
intervento a Trieste, Schlesak (...)ha detto genialmente che soltanto dopo
Stalingrado é comniciata, per la sua gente, la possibilita di' una vera
letteratura che nasce dalla consapevolezza e dall' esperienza della disfatta del
perverso sogno di dominio. Il romanzo ,Giorni della patria di Schlesak é
un´espressione poetica di questo amore di patria puro e purificato e reca
significativamente il sottotilo L´arte di sparire. Das "Aus-Land" ist freilich mehr als nur Chiffre
für ein individuelles Außenseiterdasein. Letztlich meint sie eine
existentielle Sackgasse: die Fremdheit des Menschen im ,,Gefängnis" seines
Körpers und der Zeit, die angesichts des Massenvernichtungspotentials auf ihr
Ende zutreibt. Was bleibt, sind tastende Ausgriffe in den Bezirk der Mystik. Sprachgewaltig bannt Dieter Schlesak die Verhältnisse hier
und dort, in Ost und West, in das Bild des achten Tages der
Menschheitsgeschichte. Tief ist der Fall des modernen Menschen in den
Brunnenschacht der geschichtlichen Verschuldung (...) Mit seinem Romanerstling
weist der bisher als Lyriker und Essayist bekannte Dieter Schlesak der deutsche
Gegenwartsprosa eine andere Richtung. STIMMEN DER KRITIK (zu "Stehendes Ich in laufender Zeit", Reclam 1994 und "Wenn die Dinge aus dem Namen fallen", Rowohlt 1991) Schlesaks Stärke liegt in der genauen und dichten Sprache,
der Handschrift des Lyrikers. Er zeigt uns quer zu manch herrschender Meinung,
daß im Mikrokosmos des leidenden Ich die Veränderung der Welt radikal anders
bewertet wird als im praktischen Optimismus des politischen Tagesgeschäfts. Die Ausführungen von Dieter Schlesak haben den Vorzug der
Klarheit. Was bei Heiner Müller bisher dunkel "deutsches
Verhängnis", "Kolonisation" oder "Überfremdung, bei Volker
Braun locker "das nicht Nennenswerte" hieß und von Christa Wolf als
"dunkle wilde Jagd" bedichtet wird ... was also zwischen Kreuzestod
und altfränkischer Schicksalsrhetorik kaum hinreichend verständlich wurde
(...) ist hier plötzlich deutlich." Sein Ich ist sich des Zeitsprungs gewiß, sein Ich warnt den
Leser vor allzu großen Erwartungen: "Was wirklich wahr ist, gibts noch
nicht./ Und alles andere ist vergangen./ Die schnelle Geschwindigkeit dieses
Tages/ setzt du auch morgen nicht zusammen." Andreas Möckel aus Würzburg über das neue Buch "So nah, so fremd" Schlesaks Buch, besonders der erste Tagebuchteil, ist ein
aussergewöhnliches "Heimatbuch". Im Krieg war Schlesak noch ein Kind
in Schäßburg, aber er findet Worte fuer Ueberwaeltigungen durch vergiftete
Begeisterung, fuer die Wahnvorstellung in den Scheinsiegen, fuer die
unwiderbringlich verlorene Zeit, wie sie meines Wissens unter den Siebenbuerger
Sachsen kein Schriftsteller der aelteren Generation gefunden hat Er befreit
damit alle vor dem Verdraengen; denn er spricht aus, was ausgesprochen werden
muss. Die Zeit der Diktatur in Rumaenien wird lebendig... Schlesak gibt
unumwunden Auskunft (...) Damit sind keine Ereignisse in naher oder ferner
Zukunft gemeint, sondern die Verwandlung der Menschen durch Zeiterfahrung in der
Zeit Die Widerfahrnisse, die den Menschen zugestossen sind, aehnlich nah und
zugleich fremd, wie Schlesak sie beschreibt, haben Tausende von Lebensbahnen
Stoss um Stoss beschleunigt und Menschen gleichsam ausser sich geraten lassen.
Schlesak will sicher nicht bewusst stellvertretend schreiben. Aber man kann
seine Texte durchaus in dieser Weise lesen. Seine Leserinnen und Leser muessen
ihm dankbar sein, dass er vieles ausspricht, was sie selbst nur schwer oder
ueberhaupt nicht in Sprache fassen koennen, viele vielleicht auch gar nicht
wollen. Schlesak ist unbequem. Aber sein Buch, recht gelesen, macht den
Leserinnen und Lesern Mut, sich dem Wandel auszusetzen, ihn auszuhalten, sich
die Verluste und die schwarzen Flecken der Vergangenheit einzugestehen, sie zu
betrauern, weil es wirkliche, schwere Schaeden und Verluste sind, sich aber auch
des neu gewonnenen Zugangs zu Menschen anderer Sprache, anderer Religion,
anderer Denkweise zu freuen. Erst nach den herben Verlusten und nach den tiefen
Schmerzen ist diese Weltoffenheit fuer viele Rumaeniendeutsche moeglich
geworden. Das Buch Schlesaks ist ein Beweis auch dafuer, dass das Eingestaendnis
des Verlustes und des Schmerzes weiterfuehrt und dass die Fremde und Fremdes
nahe ruecken koennen. Ein letzter Stoszseufzer: Wollten doch viele Siebenbuerger
Sachsen erkennen, was sie an Dieter Schlesak haben. Seine der Realitaet und der
Wahrheit verpflichtete Sprache ist reich an Bildern und Wendungen, die
herausfordern, entschieden sind, aus der Enge herausfuehren, nachdenklich
machen, aber auch Zuspruch enthalten und anderen eine Chance lassen, zu sich zu
kommen.
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